Die neue Reform des italienischen Verfahrensrechts

Verfahren mit Rechtsbeistand

Gemäß der italienischer Rechtsordnung können die Parteien in Zivil- und Handelssachen, die sich auf verfügbare Rechte beziehen, alternative Verfahrensinstrumente in Anspruch nehmen.
Verfügbare Rechte sind diejenigen Rechte, über welche der Rechtsinhaber aufgrund von Übertragungsurkunden, Verzichturkunden usw. und, im allgemeinen, vermögensrechtlichen Urkunden, frei verfügen kann.
Für Strafsachen und Verfahren, an welchen die öffentliche Verwaltung beteiligt ist, sowie für Arbeitsrechtsachen, ist diese Möglichkeit ausgeschlossen.

Das italienische Recht sieht folgende Verfahrensalternativen vor:

  • Verfahren mit Rechtsbeistand, – negoziazione assistita
  • Schlichtung, – conciliazione
  • Schiedsverfahren, arbitrato
  • Vergleich, la transazione

Diese Alternativen werden allgemein auch über den angelsächsischen Begriff “Alternative Dispute Resolutions” (Kurzbezeichnung ADR) definiert.
Bei diesen Rechtssachen beantragen die Verfahrensbeteiligten den Streitbeitritt eines unabhängigen Dritten, der sie bei der Ermittlung einer zufriedenstellenden Lösung unterstützt, wodurch die Anrufung des Gerichts vermieden und Zeit und Geld gespart werden können.
Über die Wahl des Alternativinstruments können die Parteien frei entscheiden; für bestimmte Rechtssachen sieht das Gesetz jedoch obligatorisch Alternativinstrumente vor und die Parteien sind zu deren Anwendung in jedem Fall verpflichtet.
In der vorliegenden Abhandlung beschäftigen wir uns kurz mit der Verhandlung mit Rechtsbeistand, insbesondere in Bezug auf Trennungs- und Scheidungsverfahren.

Für dieses Instrument gilt die gesetzesvertretende Verordnung 132/2014, umgewandelt in das Gesetz Nr. 162 aus dem Jahr 2014.

Mit Ausnahme von individuellen arbeitsrechtlichen Streitigkeiten und einiger, strikt vom Gesetz vorgegebener, Rechtssachen betrifft das Verfahren mit Rechtsbeistand durch einen oder mehrere Rechtsanwälte ausschließlich Streitfälle bezüglich verfügbarer Rechte, ist obligatorisch und stellt eine Voraussetzung für die Zulässigkeit einer eventuellen späteren Klage dar; in den übrigen Fällen ist das Verfahren mit Rechtsbeistand fakultativ.
Das Verfahren mit Rechtsbeistand ist für folgende Rechtssachen obligatorisch: Schadenersatz bei Verkehrsunfällen mit Kraftfahrzeugen oder Wasserfahrzeugen, andere Zahlungsanträge für Beträge bis 50.000 €, Transportverträge und Transportunterverträge.
Es ist dagegen fakultativ für Vereinbarungen zwischen Ehegatten in Trennungs- oder Scheidungsverfahren, Verpflichtungen aus Verträgen zwischen Unternehmern und Verbrauchern und für Streitfälle, in welchen die Partei direkt im Verfahren auftreten kann.

Bei Beauftragung des Rechtsanwalts durch den Klienten, muss der Rechtsanwalt letzteren – je nach Rechtsfall – vor Einleitung einer eventuellen Klage über die Möglichkeit bzw. Pflicht informieren, ein Verfahren mit Rechtsbeistand anzuwenden. Diese Pflicht versteht sich als standesrechtliche Pflicht des Rechtsanwalts.
Das Gesetz schreibt die Präsenz eines Rechtsanwalts für jede Partei vor.
In Kürze und ohne in Einzelheiten zu gehen: Das Verfahren mit Rechtsbeistand beginnt mit einem Einschreiben mit Rückantwort, das vom Antragsteller an die Gegenpartei übermittelt wird und welches die Aufforderung zum Abschluss einer Verhandlungsvereinbarung enthält, und es endet damit, dass entweder eine Einigung zustande kommt oder nicht.
Die genannte Aufforderung muss von der Partei unterzeichnet und die Unterschrift muss vom auffordernden Anwalt beglaubigt werden. Binnen 30 Tagen ab Erhalt der Aufforderung zum Abschluss einer Vereinbarung in Bezug auf die Verhandlung mit Rechtsbeistand kann die Gegenpartei mittels schriftlicher und per Einschreiben mit Rückantwort formulierter Mitteilung entscheiden, der Aufforderung Folge zu leisten oder nicht Folge zu leisten; ebenso steht es ihr frei, nicht zu antworten und die Frist verstreichen zu lassen, wobei die mangelnde Antwort einer ausdrücklichen Ablehnung entspricht. In diesen Fällen versteht sich das Verhandlungsverfahren mit klar negativem Ausgang als abgewickelt.
Ansonsten teilt die aufgeforderte Partei ihre Zustimmung innerhalb der 30-tägigen Frist mit. Auch diese Mitteilung ist von der zustimmenden Partei zu unterzeichnen und die Unterschrift muss vom Rechtsanwalt beglaubigt werden.
In diesem Fall bereiten die Rechtsanwälte zunächst eine Vereinbarung, das heißt ein von den Parteien zu unterzeichnendes Abkommen, in Bezug auf das Verfahren mit Rechtsbeistand vor, mit welchem sich die Parteien zur Verhandlung eines bestimmten Streitfalls verpflichten.
Die Vereinbarung, welche – unter Androhung der Nichtigkeit – in schriftlicher Form auszuführen ist, muss, natürlich, den Streitgegenstand sowie die zwischen den Parteien vereinbarte Frist enthalten, innerhalb welcher das Verfahren durchzuführen ist; diese Frist muss mindestens einen Monat, darf jedoch höchstens drei Monate betragen.
Danach wird die tatsächliche Verhandlung zwischen den Parteien eingeleitet, die – je nach Rechtsfall – mit einer Einigung oder einer mangelnden Einigung endet.

Während der tatsächlichen Verhandlungsphase, d.h. während der Aushandlungsphase, kooperieren die Parteien und die Rechtsanwälte gewissenhaft mit der Absicht, eine Einigung zu erzielen, und die Informationen, welche die Rechtsanwälte in diesem Rahmen erhalten und die während der Verhandlungsprozedur verwendet werden, verstehen sich als vertraulich und können weder offen gelegt, noch in einem eventuellen späteren Verfahren mit demselben Gegenstand verwendet werden.
Die Vereinbarung wird von den Parteien und von den Rechtsanwälten unterzeichnet; sie hat vertragliche Wirkung, ist vollstreckbar und gilt für die Eintragung einer gerichtlichen Hypothek.
Auch wenn es das Gesetz nicht ausdrücklich vorsieht, so ist doch davon auszugehen, dass wenn die Vereinbarung vertragliche Wirkung hat, sie mit den hierfür zur Verfügung stehenden Mitteln angefochten werden kann, d.h. Aufhebung wegen Einigungsmängeln, Nichtigkeit oder Beendigung.
Das Gesetz sieht jedoch vor und legt fest, dass ein Rechtsanwalt, der einen unter seiner Mitwirkung erstellten Vertrag anficht, ein Vergehen gegen die Standesregeln begeht.
Aus steuerlicher Sicht erhalten die Parteien, die eine Einigung erzielt haben, eine Steuergutschrift auf die an die Rechtsanwälte im Rahmen des Verhandlungsverfahrens entrichteten Honorare.
Erzielen die Parteien dagegen keine Einigung, auch keine partielle, erstellen die Rechtsanwälte eine Erklärung über die Nichterreichung der Vereinbarung und das Verfahren mit Rechtsbeistand versteht sich als abgewickelt.
In Bereichen mit obligatorischer Schlichtung, die somit eine Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage darstellt, kann keine Klage eingereicht werden, wenn das Verfahren nicht eingeleitet wurde, und wenn es eingeleitet wurde, kann eingewendet werden.

Verhandlungen mit Rechtsbeistand bei Trennungs- und Scheidungsverfahren

Eheleute, die sich einvernehmlich trennen oder scheiden lassen, oder die Trennungs- oder Scheidungsbedingungen ändern möchten, können – auch wenn Kinder da sind – auf das Instrument des Verhandlungsverfahrens mit Rechtsbeistand vor ihren eigenen Rechtsanwälten zurückgreifen.
Wesentlich für die Inanspruchnahme dieses alternativen Instruments ist das Einvernehmen der Parteien, die von den jeweiligen Rechtsanwälten unterstützt werden müssen.
Die Eröffnungs-, Verhandlungs- und Abschlussverfahren entsprechen den oben beschriebenen; die Besonderheit besteht in der Vereinbarung zwischen den Parteien, in welcher die Eheleute ausdrücklich ihre Zustimmung zur Trennung geben müssen. In Scheidungsfällen müssen die Eheleute darüber hinaus angeben, dass die geistige und materielle Gemeinschaft nicht mehr besteht, und dass 6 Monate bzw. ein Jahr vergangen sind, je nachdem, ob die Trennung einvernehmlich war oder gerichtlich entschieden wurde.
Sind minderjährige oder leicht behinderte, schwer behinderte oder wirtschaftlich noch unselbständige volljährige Kinder da, muss in der Vereinbarung klar angegeben werden, welche Übereinkunft die Eheleute in Bezug auf den persönlichen und finanziellen Umgang mit den Kindern getroffen haben.
In diesem Sinne wird Bezug genommen auf das Sorgerecht, das Besuchsrecht des nicht sorgeberechtigten Ehepartners, die Zuweisung der ehelichen Wohnung oder den Unterhalt für die Kinder.
Art. 6 c. 3 des Gesetzes 132/2014 legt ausdrücklich fest, dass die Rechtsanwälte in der Vereinbarung bestätigen müssen, dass sie die Eheleute mit minderjährigen Kindern darüber informiert haben, wie wichtig es ist, dass das minderjährige Kind eine angemessene Zeit mit jedem Elternteil verbringt.

Nachdem die Parteien die Vereinbarung unterzeichnet haben, müssen die Rechtsanwälte ihn an den Staatsanwalt (in weiterer Folge PM) beim zuständigen Gericht zur Prüfung übermitteln. Bei Fällen mit Kindern ist eine zwingende Frist von 10 Tagen vorgeschrieben, andernfalls wird die Vereinbarung nicht zugelassen.

Haben die Eheleute keine Kinder, erteilt der PM die Freigabe für die weiteren Formalitäten beim Standesbeamten; sind dagegen Kinder da, verifiziert der PM, ob die Vereinbarung den Interessen der Kinder entspricht. Sind die Interessen gewahrt, genehmigt der PM die Vereinbarung; ist dies nicht der Fall, übermittelt der PM die Vereinbarung innerhalb von 5 Tagen an den Präsidenten des Gerichtshofs, welcher – innerhalb der darauffolgenden 30 Tage – die Parteien zur Anhörung vorladen muss.
Diese Verfahrensweise zielt darauf ab, die Angemessenheit der vom PM „abgelehnten“ privaten Vereinbarung zu prüfen und wird mit einem Zulassungs- oder Ablehnungsbeschluss durch den Richter abgeschlossen.
In dieser Phase können die Parteien den Bemerkungen des PM oder des Richters Folge leisten, oder auch nicht berücksichtigen. Lässt der Richter die Vereinbarung nicht zu, müssen die Parteien ein Gerichtsverfahren zur einvernehmlichen Scheidung einleiten.

Wird die Vereinbarung zugelassen, fertigen die Parteien eine zu beglaubigende Kopie an, die binnen 10 Tagen beim Standesamt der Gemeinde eingereicht werden muss, bei welcher die Eheschließung eingetragen wurde. Für die mangelnde Übermittlung der Vereinbarung ist eine Geldstrafe vorgesehen.

Der Standesbeamte trägt danach die Vereinbarung in das Eheregister ein und vermerkt sie am Rand der Eheurkunde und der Geburtsurkunde beider Ehepartner.

Auch in diesem Fall ist die Vereinbarung vollstreckbar und gilt für die Eintragung einer gerichtlichen Hypothek, und sollte der Rechtsanwalt, der die Vereinbarung verfasst hat, diese anfechten, so begeht er ein Vergehen gegen die Standesregeln.

Massimiliano Condò